100km Biel – Rennbericht Teil 2

Nach dem Startschuss ging es dann langsam und gemächlich los. Als erstes habe ich natürlich meinen Plan bezüglich Lauf- und Gehpausen über den Haufen geworfen, hauptsächlich weil ich keine Uhr tragen wollte 🙂 Die ersten Kilometer gingen schnell und einfach vorbei, die Straßen waren trotz der Abendstunden voll von Zuschauern, die einen mächtig angefeuert haben. Dieses Phänomen war eigentlich die meiste Zeit zu sehen, teilweise wurde einem von leicht angetrunkenen Zuschauern gefragt, ob man nicht ein Glas Hochprozentiges oder ähnliches benötigt, um voran zu kommen. würde ich Alkohol trinken, hätte es vielleicht geholfen 🙂

Schneller als ich dachte erreichte ich das 5 Kilometer Schild (35 Minuten) und fühlte mich noch pudelwohl. Es tat nichts weh, ich war motiviert bis in die Fußsohlen und machte dann den Fehler mir zu sagen, dass ich ja jetzt nur noch 95 Kilometer vor mir hätte anstatt von Kilometer zu Kilometer zu denken. Viele andere hatten ungefähr dasselbe Lauftempo wie ich – ich kam mir also noch nicht wie eine fußlahme Schildkröte gepaart mit einem Babyelefanten, der gerade das Gehen lernt, vor.

Biel - Bericht 5
5% geschafft – noch bin ich guter Dinge

Dann kam der erste kleiner Anstieg und ich machte, was für mich am sinnvollsten gewesen ist, ich bin gegangen – wie quasi alle um mich herum. Nur irgendwie war mein Gehen erheblich schneller als das Gehen der anderen und erstaunlicherweise habe ich dabei viele Personen überholt. Das stimmte mich zuversichtlich, da ich mir ja schon ausmalen konnte, dass mein Laufvermögen eher früher als später erschöpft sein wird und ich ins Gehen übergehen muss. Es war jetzt auch an der Zeit meine Ernährungsstrategie zu testen und meine Honey Stinger Waffel war gut und das Wasser aus meinem Trinkrucksack anfangs angenehm kühl, anschließend leider recht warm. Das Wasser in meinem Trinkschlauch hatte immer die Temperatur, die ich gerne hätte, aber ansonsten war das Wasser durch die Hitze meines Rückens zu warm. Ein wenig später habe ich dann mein Ahornsyrup-“Gel” erstmals probiert und es war nicht so der Erfolg, den ich mir erwünscht hätte. So ein brühwarmer, klebriger Syrup macht sich zwar hervorragend auf Pancakes, aber die hatte ich leider nicht zur Verfügung 😉 Sicher hätte ich dies auch im Vorfeld testen können, aber wo wäre da dann der Spaß gewesen? Sowas macht ja jeder :p Und das Zeug klebt verdammt gut an den Fingern!

Biel - Bericht 6
Auftanken

Dieses Jahr fand das Rennen zu einer Zeit statt, in der der Mond es für unnötig hielt, sich groß in Szene zu setzen. Aus diesem Grund hatte ich ja extra meine Stirnlampe eingepackt gehabt, aber während des Rennens konnte ich mich dann doch nie so recht damit anfreunden das Ding jetzt aufzusetzen und dann die ewige Schaukelei des Lichtstrahls vor mir zu erdulden. Innerhalb der Ortschaften war dies ja nicht wirklich ein Problem, aber auf den Straßen und insbesondere den Waldwegen war dies dann ab und an doch ein wenig herausfordernder. Ab es jetzt an schlechter Sicht oder einfach nur Unachtsamkeit lag, weiß ich nicht, aber ich musste natürlich die Dehnfähigkeit meiner Außenbänder mehrfach testen durch das ungeschickte Auftreten in Schlaglöchern. Was soll ich sagen? Dehnbar sind sie, aber sie brauchen mittlerweile ein wenig Zeit, bis sie sich wieder auf die normale Länge zurückziehen 😉 Ein wenig lag es auch an meiner Schuhwahl, da sich meine Laufschuhe zwar angenehm locker anfühlten, aber wohl ein wenig zu locker um das Gelenk herum waren. Aber das war das geringste Problem mit den Schuhen. Für eine reine, frisch gekehrte Asphaltstrecke mögen die Schuhe bestimmt super sein, aber für Wald- und Wiesenwege sind sie absolut ungeeignet durch die Beschaffenheit der Sohle. Jeder Stein, egal welcher Größe, hat sich in der Sohle gerne ein kuschliges Plätzchen gesucht und war dort nur durch Anhalten, versuchen auf einem Bein stehend den anderen Fuß zu heben und so zu drehen, dass man die Steine rausziehen konnte – und dies bei meiner legendären Ungelenkigkeit – wieder dazu zu bringen, dass man ohne Schleifgeräusche sowie Schmerzen im Fuß weiter vorwärts kommen konnte. Wer hat diese Schuhe erfunden? Ja, die Schweizer!!

Biel - Bericht 7
25% geschafft, aber mental schon längst im Bus

Neben meiner suboptimalen Schuhwahl kam dann auch noch ein anderes Ausrüstungsproblem hinzu. Mein Trinkrucksack hat sich immer richtig schön in die Achselhöhle eingeschnitten und egal wie sehr ich die Einstellungen verändert habe, habe ich nie eine bequeme Position hinbekommen – mentale Notiz für das nächste Mal: keinen Trinkrucksack mehr, lieber etwas mit Trinkflaschen, die bestimmt auch kühler sind.

Die nächsten Kilometer gingen so an mir vorbei und ich lag, insbesondere für mein Training, recht gut im Rennen – für das Ziel Ankommen / Überleben. Aber irgendwas fehlte, insbesondere auf der mentalen Seite. So ungefähr nach 15 Kilometer musste ich mich ständig fragen, wieso ich das jetzt mache und ob ich mir das echt noch weiter antun muss. Der erste Teil war einfach zu beantworten, da dies ja mein Sohn entschieden hatte, aber der zweite Teil nicht so einfach. Und sobald erst einmal solche Gedanken im Kopf schwirren, wird es verdammt schwer aus dieser Abwärtsspirale wieder rauszukommen. Ich hab es dann an den Verpflegungsstationen mit brühwarmer Pepsi versucht, aber als Motiviationshilfe ist das absolut nicht geeignet, eher als Motivation schleunigst was genießbares in den Rachen zu bekommen.

Biel - Bericht 8
Ziel des Marathons – mein Aufgabepunkt

Ein wenig Stimmung kam auf, als ich am Ziel des Halbmarathons vorbei gejoggt bin. Auch wenn ich dort, wegen der unterschiedlichen Streckenführung zu Beginn beim Halbmarathon/Marathon sowie dem 100km Lauf noch keinen Halbmarathon hinter mir hatte, war ich bei den gegebenen Umständen doch von meiner Zeit von 2:19:22 beinahe schon positiv überrascht und versucht mir noch auszumalen, dass ich ja nun beinahe schon 20% hinter mir habe und ich hochgerechnet noch locker eine Zeit von 13 Stunden hinbekommen kann. Ja, irgendwie musste ich ja versuchen meine negative Abwärtsspirale zu durchbrechen. 100m weiter musste ich mal wieder eine Zwangspause einlegen und meine Schuhe von Steinen befreien. Als ich dann gefühlt – wie ein Blick auf die Zeit bei Kilometer 38 zeigt nicht nur gefühlt – Stunden später bei Kilometer 25 angekommen bin, war für mich schon klar, dass ich bei Kilometer 38, gleichzeitig Ziel des Marathons, meinen Wettkampf beenden werde. Mir ging es richtig bescheiden, da inzwischen auch mein Knie sich genau so angefühlt hat wie 2002, als ich dachte, dass meine rechte Kniescheibe explodiert ist. Darauf hatte ich ja nur gewartet gehabt 😉 Auch sonst ging mir ständig nur durch den Kopf, dass ich die Zeit ja viel besser mit meiner Frau und meinem Sohn verbringen könnte als mich wegen nichts und wieder nichts durch die nächtliche Hügellandschaft zu schleppen. Die zwei sollen ja schließlich auch was vom Wochenendausflug haben. Das einzige Problem war jetzt, dann scheinbar in der Schweiz der Meter eher 5 Meter entspricht und sich alles so ewig hingezogen hat. Dann kam noch meine Müdigkeit dazu. Hätte ich die Strecke gekannt, dann wäre es der optimale Zeitpunkt gewesen beim Laufen/Gehen zu schlafen und sich anschließend an die letzten Kilometer nicht erinnern zu können. Aber dazu gab es dann einfach zu viele unbekannte Schlaglöcher, die ich auch mit geöffneten Augen “gerne” mitgenommen habe. Mit jedem Schritt habe ich das Ziel des Marathons herbei gesehnt und nach unglaublichen 6:26.28,5 (auf die ,5 lege ich sehr großen Wert!!!!) hatte ich dann 38,0 Kilometer hinter mich gebracht und bei dieser Messstelle den 874. Platz inne gehabt. Selten hat eine gekühlte Flasche Gatorade so gut geschmeckt wie zu diesem Zeitpunkt und ich war einfach nur froh im Bus Platz genommen zu haben und auf die Fahrt zurück nach Biel zu warten.

Biel - Bericht 9
Erlöst, aber irgendwie enttäuscht

Gibt es jetzt ein Fazit? Nicht so wirklich. Ich hätte mich auf jeden Fall noch weiter über die Strecke schleppen können, aber ich konnte an dem Tag einfach nicht erkennen wofür. Wären meine Frau und mein Sohn daheim geblieben und ich allein nach Biel gekommen (Freitag Anreise, Samstag Abend Rückflug), dann wäre ich auf jeden Fall weiter gegangen, da ja niemand auf mich gewartet hätte. Ob ich dann nach 56,1 oder 76,7 Kilometer vielleicht ausgestiegen wäre, kann ich nicht sagen, aber ich hätte große Zweifel, ob ich in meinem Zustand innerhalb des Zeitlimits angekommen wäre. Aber wer weiß, vielleicht wäre ja irgendwann die 135. Luft gekommen und ich wäre über die Strecke geflogen – werden wir jetzt nie erfahren. Ansonsten hatte ich einige Tage kleinere Probleme beim Treppen-Herabsteigen, aber alle Beschwerden haben sich schnell wieder gelegt und hätte ich mir nicht am Wochenende beim Hinterherjagen nach meinem Sohn mein rechtes Knie verdreht (direkt an meiner OP Narbe – schön geschwollen), dann wäre ich diese Woche wieder ins leichte Lauftraining eingestiegen um für mein nächstes Abenteuer im Januar 2016 vielleicht minimal besser vorbereitet zu sein. Mal schauen, was die Zukunft so bringen wird.

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